KLARTEXT zum Bericht der unabhängigen Expertenkommission im Fall Al-Bakr

Landtag

Der Theologe Dittrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“ Ich glaube, dass wir uns diesen Satz bei der kritischen Auseinandersetzung mit dem Abschlussbericht der unabhängigen Expertenkommission zum Fall Al-Bakr zu Herzen nehmen sollten.

Wer nichts tut, macht auch keine Fehler!

Sächsische Polizei- und Justizvollzugsbeamte haben in einer schwierigen, unübersichtlichen und in Deutschland bis dato einmaligen Situation gehandelt und Verantwortung übernommen. Sie haben sich dabei unter höchster Gefahr für ihre eigene Gesundheit und ihr Leben für uns alle eingesetzt. Sie haben einen Terroranschlag verhindert. Dafür zollen wir Ihnen Respekt und sprechen unseren Dank aus!

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Fehler gemacht wurden, dass es zu Versäumnissen kam. Aber: Wer nichts tut, macht auch keine Fehler! In der Pressekonferenz vom 24. Januar führte Professor Landau, der Vorsitzende der Expertenkommission, aus, dass die Expertenkommission keine Anhaltspunkte für wissentliches oder typisch sächsisches Fehlverhalten feststellen konnte. Die Fehler hätten in jedem anderen Bundesland auch passieren können.

Damit darf es nicht getan sein. Es ist an uns, die notwendigen Schlüsse aus der Analyse der Ereignisse und den daraus abgeleiteten Empfehlungen der Expertenkommission zu ziehen. Wir werden aus den Fehlern lernen!

Die Handlungsfelder sind klar:

  • Es geht um die Frage der Suizidprävention und insbesondere den Umgang mit Terroristen bzw. Selbstmordattentäter.
  • Es geht um die Personalsituation in den Justizvollzugsanstalten.
  • Es geht um die Verbesserung der Zusammenarbeit und der Kommunikation aller Bundes- und Länderbehörden.
  • Und es geht auch um die Frage, ob wir in bestimmten Bereichen Gesetzesänderungen angehen sollten.

Suizidprävention

Die Landesarbeitsgruppe Suizidprävention hat ein Verfahren zur Einschätzung von suizidgefährdeten Gefangenen erarbeitet, das die Expertenkommission ausdrücklich gelobt hat.

Wir wissen, dass die Psychologin nach allen fachlichen Gesichtspunkten eine richtige Einschätzung des Gefangenen Al Bakr getroffen hat. Die Kommission hat aber deutlich gemacht, dass die Betreuung - nicht die Kontrolle - unzureichend war.

Es gibt aber in Deutschland keine Erfahrungen, wie man mit IS-Attentätern bzw. mit Selbstmordattentätern eigentlich konkret umgeht. Das hat zu Verunsicherung bei den Bediensteten geführt. Es ist nun einmal ein sehr sensibler Vorgang, in jeder Situation die Eigen- und die Fremdgefährdung richtig abzuwägen.

Um in dieser Situation die erforderlichen Gespräche führen zu können, fehlen Dolmetscher wie auch Psychologen, die sofort und unmittelbar vor Ort zum Einsatz kommen können. Hier bedarf es weiteren Fachpersonals und geeigneter digitaler Kommunikationsmittel.

Nicht zuletzt muss auch die Überwachung der Gefangenen, gerade in solch schwierigen Situationen überdacht werden. Das Justizministerium hat bereits die Planung eines neuen Haftraumtypes erörtert.

Personalsituation in den Justizvollzugsanstalten

Die Expertenkommission empfiehlt in ihrem Bericht, die personellen Kapazitäten der Sicherheits- und Justizbehörden in Bund und Ländern aufzustocken. Im aktuellen Doppelhaushalt haben wir bereits ein Zeichen gesetzt und reagiert:

  • der Stellenabbau im Justizvollzug ist weitgehend gestoppt
  • 105 zusätzliche Stellen für den Justizvollzug sind zur Verfügung gestellt
  • die Ausbildungskapazitäten wurden bereits 2016 von 20 auf 60 Plätze erhöht

Dies darf aber nur ein Anfang sein. Die Statistiken zeigen, dass der Bedarf an geschultem Fachpersonal aufgrund von Altersabgängen, gerade im Justizvollzug steigt. Der Justizminister hat mit der Einrichtung einer handlungsfähigen Stabsstelle im Justizministerium reagiert.

Koordination und Zusammenarbeit

Tatsache ist, dass hier in Sachsen nur durch das schnelle, verantwortungsvolle und entschlossene Ersuchen des Landeskriminalamtes bei der Staatsanwaltschaft der Polizeieinsatz zur Verhinderung des Terroranschlages angelaufen ist.

Dass der als suizidgefährdet geltende mutmaßliche Terrorist ohne jedwede Vorabinformationen - quasi inkognito - an die JVA Leipzig überstellt wurde, hat die Expertenkommission zu Recht kritisiert.

Hier werden Informationslücken geschlossen. Entweder das Gericht oder die Staatsanwaltschaft muss unverzüglich der zuständigen JVA die notwendigen Informationen übermitteln. Nur so können sich die Mitarbeiter vor Ort entsprechend vorbereiten und das entsprechende Fachpersonal herangezogen werden.

Was können wir besser machen?

In der Kommunikation und Abstimmung müssen die Behörden besser werden. Es darf nicht sein, dass jeder hier sein eigenes Süppchen kocht, Informationen nicht ausgetauscht und durchgestellt werden. Hier brauchen wir ein koordiniertes Vorgehen, eine gemeinsame Sprache und vor allem ein gemeinsames Handeln. Das sollte sinnvoller Weise der Bund koordinieren – gerade bei der länderübergreifenden Gefahr des Terrorismus.

Eine zentrale Unterbringung bestimmter Tätergruppen in besonderen Justizvollzugseinrichtungen, länderübergreifend oder im Bund, lehnen wir ab. Wir sollten nicht bei jedem Problem gleich unsere föderale Struktur aufgeben. Wir können das in Sachsen selbst leisten.

Was ist mit Blick auf Dolmetscher und Psychologen zu tun?

Immer wieder werden Forderungen laut, dass rund um die Uhr alle Justizvollzuganstalten einerseits mit Psychologen, andererseits mit Dolmetschern ausgestattet sein sollen. Das ist ein hehres Ziel. Sinnvoller ist es aber, wie Herr Prof. Landau in seinem Bericht anregt, auch auf Video-Dolmetscher-Systeme zu setzen. Kommunikation führt zu mehr Vertrauen, auf beiden Seiten. Und es führt zu mehr Sicherheit.

Ein Nebenprodukt ist, dass auch medizinische Beratungen zeitnah durchgeführt werden können und nicht erst auf den speziellen Dolmetscher gewartet werden muss. So können auch etwaige Suizidgefahren unmittelbar abgeklärt werden. Das war ein Kritikpunkt nach der Inhaftierung von Herrn al-Bakr.

In Österreich wird das Video-Dolmetscher-System schon seit etwa 2014 eingesetzt. Der Freistaat Bayern testet dieses System seit geraumer Zeit. Diese Möglichkeit erscheint auch für Sachsen interessant.

Stichpunkt Videoüberwachung

Direkt nach der Ausschuss-Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses im Oktober 2016 haben wir als CDU Fraktion gefordert, dass es an der Zeit ist, in besonderen Fällen und nach Einzelfallprüfung die Videoüberwachung in Haftzellen zuzulassen. Jetzt wird das Staatsministerium der Justiz einen Vorschlag für die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen erarbeiten.

Fazit

Terrorismus ist eine gesamtdeutsche, eine europaweite Bedrohung. Deshalb ist der verantwortungsvolle Umgang mit den im Expertenbericht gegeben Empfehlungen besonders wichtig. Ich bin mir sicher, dass auf dieser Grundlage hier in Sachsen die richtigen Maßnahmen ergriffen und umgesetzt werden. Das ist die Kultur der Verantwortlichkeit!